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Das Reichsgut am Harz

von Winfried Korf

Reichs- oder Krongut ist der Grundbesitz samt der damit verbundenen oder eigenständigen Einrichtungen (u.a. Bergwerke, Hütten), den Einnahmen aus dem Markt-, Münz-, Zoll-, Forst-, Jagd- oder Bergrechten und der Gerichtsbarkeit, die dem Herrscher zum Ausüben seines Amtes verfügbar sind. Aus dem Reichsgut ist die Reichskirche (Bistümer, Reichsstifte und –klöster) ausgestattet worden. Dieses Reichskirchengut blieb dem Herrscher samt seinem Anhang durch die Verpflichtung zur „Gastung” (Beherbergung und Verpflegung) weiterhin in der Hand. Ebenfalls aus dem Reichsgut sind die Reichslehns- und dienstleute (Vasallen und Ministerialen) zum Wahrnehmen der administrativen und militärischen Aufgaben bestellt worden. Dieses Reichsgut wurde ab 1037 erblich und damit dem Zugriff des Herrschers mehr und mehr entfremdet.

Eine Ballung von Reichsgut zwischen der mittleren Werra im Westen, der unteren Saale und mittleren Elbe im Osten, zwischen der Ohre im Norden und dem Thüringer Becken im Süden, mit dem Harz im Mittelpunkt machte dieses Gebiet zwischen 919/920 und 1220/1232 neben den Kronbezirken am Rhein zum wichtigsten wirtschaftlichen Rückhalt und damit zu einem Schwerpunkt der mittelalterlichen Reichsgewalt. 18 Königspfalzen und über 60 Königshöfe – manche von ihnen für Herrscheraufenthalte eingerichtet – dazu fünf Bistümer und zeitweilig zehn Reichsstifte und – klöster, geschützt von einem Burgengürtel an der Ost grenze entlang von Saale, Unstrut, Bode, Elbe gegen die Slawen, Awaren und Magyaren kennzeichnen den wirtschafts- und machtpolitischen Vorrang des Harzgebietes.

Für das umkämpfte Sachsen verfügt Karl der Große auf dem Reichtstag zu Paderborn 777 die Bildung von Reichsgut, indem er alles unerschlossene, herrenlose Land und den eingezogenen Besitz seiner Gegner der Krone, dh. sich selber zuschlägt. Mit seiner „Verfügung über die Landgüter und Reichshöfe” um 793/795 regelt er bis ins Einzelne ihre Verwaltung und Bewirtschaftung, ihre Gliederung in Haupt- und Neben- / Außenhöfe mit Anteilen am Acker- und Weideland und an den Bannforsten mit ihren Jagdgerechtsamen, Bergwerken und Hütten; er schreibt ihre Bebauung vor und führt genormte Liefereinheiten, die „Königsdienste”, ein, deren Festsetzung die staunenswerte Leistungskraft der Reichsgüter offenbaren. Bis zum Verluste des Reichsgutes im 13. Jahrhundert behielt diese Verfügung Gültigkeit, was heute noch an der Grabungs stätte der Pfalz Tilleda abzulesen ist.

Mit dem Niedergange der ostfränkischen Königsmacht im 9. Jahrhundert bemächtigen sich die Amtsherzöge – ostfälische Sachsen aus der Familie der Liudolfinger – großer Anteile des fränki- s c h e n Reichs- und Reichskirchengutes. Als aus ihr 919 Heinrich I. zum König gewählt wird, fallen das okkupierte fränkische Reichsgut mit dem vermehrtem Eigengut der Herzöge zu einem Güterkomplex zusammen, in dessen Mitte nunmehr das Harzumland sich als Zentrum des Königtums herausbildet. Aus dessen Erträgen wird die Reorganisation des ostfränkischen Reiches in der Abwehr der Normannen und Magyaren, zugleich die Expansion gegen die westslawischen Gebiete, gegen Dänemark und Lothringen, gar bald auch gen Italien bezahlt.

Zum ersten Vorort wird Quedlinburg mit seinem 936 begründeten Reichsstifte St. Servatii, einem der glanzvollsten und reichsten seiner Zeit. Von diesem „Hauptorte des Reiches” aus regiert die erste Äbtissin Mathilde 997-999 als Reichsverweserin für ihren Neffen Otto III. Daneben sind aus fränkischem Reichsgut Nordhausen, Wallhausen und Allstedt, aus liudolfingischem Hausgut Grone und Pöhlde sowie das von Heinrich I. erbaute riesige Werla weitere Stützpunkte. Otto I. steigert Magdeburg mit dem 968 zum Erzbistum erhobenen Moritzkloster zum neuen Hauptort. Otto II. hingegen bevorzugt im Harzumkreis Allstedt. Heinrich II. baut den fränkischen, durch die Silberfunde am Rammelsberge attraktiv gewordenen Reichshof Goslar zur neuen Pfalz gegen Werla aus und macht das ertragreiche Merseburg zu seinem Hauptsitz. Als einen Wegeknoten zwischen den genannten Stätten erhebt er Walbeck am Ostharz mit seinem Kloster zu einer neuen Pfalz.

Die pompösen Kirchenfeste, die oft mit politischen Zusammenkünften – Fürsten-, Hof- und Kirchentagen – verbunden sind, konzentrieren sich auf bestimmte, durch kirchliche Einrichtungen dafür geeignete Pfalzen, die einen Vorrang als „Festtagspfalzen” einnehmen: allen voran Quedlinburg als „Osterpfalz” – häufiger aufgesucht als die älteren Stätten Ingelheim und Aachen.

Die Salierkönige bauen Goslar zu ihrem Hauptort in Sachsen, zugleich zum größten, beeindruckendsten Herrschersitz ihrer Zeit aus. 1050 lässt Heinrich II. das Pfalzgebäude mit seinen beiden ungewöhnlichen Privatkapellen und das Pfalzstift St. Simonis et Judae als „königliche Hofkapelle” zum Heranziehen von Klerikern für Dienste an Reich und Herrscher errichten. Weitere (1527 geschleifte) Stiftungen im nächsten Umfelde Goslars dokumentieren in ihrer Baugestalt deutlichst den hegemonialen Anspruch der Salier über die Herrscher und Reiche Europas, auch über das von ihnen gereinigte, gestärkte Papsttum. Die häufigen, oft langwährenden Aufenthalte Heinrichs III. und Heinrichs IV. erheben Goslar zur „Heimstatt des Reiches” und lassen den Ansatz einer zeitweiligen Residenz erkennen. Der frühe Tod Heinrichs III. 1056 und die unentschlossene Vormundschaftsregierung für den noch unmündigen Nachfolger schwächen die Reichsgewalt und mindern das Reichsgut. Um dessen verbliebene Liegenschaften abzusichern lässt der neue König ab 1062 einen Ring von Reichsburgen um den Harz legen, deren bedeutendste und meist umkämpfte die Harzburg ist. Über die von zeitgenössischen Chronisten benannten acht Anlagen hinaus lassen sich aus anderen Quellen insgesamt 16 Burgen erschließen.

Die Belastung der Landbevölkerung durch das „Burgwerk”, die Agitation des in seinen Expansionsgelüsten eingeschränkten sächsischen Hochadels, dazu angebliche Übergriffe der landfremden, hier eingesetzten „schwäbischen” Reichsdienstleute erregen 1073 den ersten „Sachsenaufstand“. Die wechselvollen Kämpfe, innerhalb derer die meisten dieser Reichsburgen zerstört, wieder aufgebaut, abermals zerstört werden, enden 1115, als das Heer Heinrichs V. von der sächsischen Fürstenkoalition unter dem Sachsenherzog und späteren König Lothar von Süpplingenburg bei Welfesholz so entscheidend geschlagen wird, dass die Königs macht sich vorerst aus dem Harzbereich zurückziehen muss. Binnen zehn Jahren ist das Reichsgut unter den Dynastien zerrissen und zerteilt und von deren eigenen neuen Burgen abgesichert.

Die nachfolgenden Hohenstaufen schaffen sich ihre Machtgrundlage im Südwesten des Reiches und erschließen sich in Mitteldeutschland neue Reichsgebiete, u. a. das Reichsland Plisni um Altenburg. Von den seit 1115 verlorenen Reichsgütern am Harz können sie nur wenige zurückkaufen, -tauschen oder einziehen. Deren Verwaltung übertragen sie Reichsdienstleuten im Range von Burggrafen, Reichsvögten oder Reichsschultheißen. Mit dem Trockenlegen des Helmebruchs zur „Goldenen Aue” ab Mitte des 12. Jahrhunderts, überwacht von den Kyffhäuser-Burgen, gelingt ihnen hier ein Neuerwerb.

Mit dem Zugewinn des Normannenreiches in Süditalien und Sizilien 1194 verlagern sich die Interessen der Hohenstaufen in den Mittelmeerraum. Friedrich II. gibt die letzten Reichsgüter und –rechte am Harz in seinem „Verbündnis mit den Kirchenfürsten” 1220 und in der „Satzung zugunsten der Fürsten” 1232 aus der Hand und verlässt 1237 Deutschland für immer. Damit rückt das Harzgebiet endgültig aus der Mitte an den Rand der deutschen Geschichte und verwandelt sich gar rasch von einem Machtblock des Königtums zu einer der kleinstteilig zersplitterten Geschichtslandschaften Deutschlands – noch heute nachwirkend in ihrer Teilung unter drei Bundesländer.

Ausführlicher dargestellt wird dieser Gegenstand in einer vom Städtischen Museum Halberstadt initiierten Wanderausstellung des Verfassers als Ergänzung zur Ausstellung „Das Heilige Römische Reich” in Magdeburg 2006 und – nachmals erweitert – in einer gleichnamigen Veröffentlichung von 2007. (gekürzte Fassung)

 

Die Große Harzburg: Zustand nach dem stauferzeitlichen Wiederaufbau um 1180 und dem spätmittelalterlichen Ausbau um 1450

 

Reste der Pfalz Tilleda mit dem Kammertor

 

Fotos/Abb.: IMG, Wikipedia, Winfried Korf (Rekonstruktionsvorschlag Pfalz Werla)

 

Die Pfalz Werla - mit 25 Hektar Grundfläche die ausgedehnteste Bau- und Befestigungsanlage Mitteleuropas, Zustand um 1150

 

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