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Zwischen Nimmersatt und Schmalleningken

Die Rückkehr des Memellandes im März 1939

Im Schulunterricht der DDR wurde mir gelehrt, Geschichtsschreibung erfolgt immer gemäß der herrschenden Klasse. So wurde uns der Finnlandkrieg 1939 als Wiedergutmachung alten Unrechts und die Besetzung der 1918/19 neu geschaffenen baltischen Staaten durch die Sowjetunion als Gefahrenabwehr erklärt. Auch die Rückführung des Memellandes vor 70 Jahren war in der Geschichtsschreibung der DDR ein faschistischer Gewaltakt, eine widerrechtliche Besetzung.

Doch was sich am Ende des Ersten Weltkrieges unter dem Wirken des Versailler Vertrages ereignete, liest sich etwas anders und egal wie man es dreht oder wendet - Unrecht geschah, aber von welcher Seite... Besonders im heutigen Sachsen-Anhalt fanden viele Vertriebene aus Ostpreußen eine neue Heimat. Ich selbst konnte mit vielen sprechen und mich faszinierte immer das ganz eigene Deutsch der Ostpreußen. Ich hörte sehr genau zu, wenn von persönlich erlebter Geschichte berichtet wurde.

Im 12. und 13. Jahrhundert missionieren Schwertbrüderorden und Deutscher Orden das Memelgebiet. Bereits 1252 errichten sie die Memelburg an einer Stelle, die die dortigen Kuren als „Klajs peda“ flache Stelle bezeichneten. Der deutsche Ordensstaat unterzeichnete 1422 einen Vertrag mit Litauen über den Verlauf der Grenze, die auch 500 Jahre unangetastet blieb. Mit der Reformation gehörte das Gebiet zum Herzogtum, ab 1701 zum Königreich Preußen.

Ende des Ersten Weltkrieges wurden dem Deutschen Reich viele Gebiete aberkannt und unter die Aufsicht des Völkerbundes gestellt, so auch das Memelland. Eine französiche Besatzung sollte die Umwandlung in einen Freistaat vorbereiten. Keiner der Memelländer wusste eigentlich so richtig warum. 80 Prozent der Bevölkerung waren deutschsprachig. Wieder und wieder wandten sich deutsche Parteien erfolglos an den französischen Präfekten. Am 10. Januar 1923 nahmen bewaffnete Litauer das Land in ihren Besitz. Das Kuriose daran ist, dass das Deutsche Reich im Jahre 1918 - noch vor Ende des Weltkrieges - die Staatsgründung von Litauen selbst initiiert hatte. Und während offiziell von einem memelländischen Aufstand gesprochen wurde, sahen die Memelländer aber vorrangig reguläre litauische Soldaten agieren. Der Völkerbund anerkannte den „Memelländischen Aufstand“, zog seine Truppen vollends ab und erhob nur die Forderung, dem Memelland Autonomie einzuräumen. Damit war die Sache vom Tisch. Und mit Demokratie hatte all das auch gar nichts zu tun. In Litauen herrschte seit 1926 eine Militärdiktatur, die stärksten Parteien unter der Deutschen Einheitsfront (94 Prozent der Stimmen) durften keinen Regierungschef für das Gebiet stellen. Von Litauen wurde ein Gouverneur und der Leiter des memelländischen Direktoriums eingesetzt. Das war Unrecht und die Unzufriedenheit der Bevölkerung war groß. 1935 bemühte sich Litauen um einen Nichtangriffspakt, den die deutsche Regierung ablehnte mit Verweis auf die Verstöße gegen die Konvention des Völkerbundes: der bestehende Kriegszustand, Lahmlegung des Landtages, willkürliche Verhaftungen und Beschränkung der Presse- und Vereinsfreiheit. Dass die letzten Punkte gerade vom Dritten Reich kritisiert wurden, war natürlich mehr als zynisch, nachdem in Deutschland jegliche Rechte außer Kraft, Verhaftung und Mord verbrecherischer Alltag waren.

Als das Deutsche Reich Litauen eine Freihandelszone und weitere Rechte in Memel einräumte, übergab Litauen das Memelland am 22. März 1939 an Deutschland, um einen Konflikt abzuwenden. Großbritannien und Frankreich verurteilten diesen Schritt diplomatisch, unternahmen aber nichts. Die Bevölkerung des Memellandes selbst, um die es ja eigentlich ging, begrüßte die neue Situation und atmete vorerst erleichtert auf. Heute gehört das Gebiet wieder zu Litauen. Während damals 95 Prozent der Bevölkerung evangelisch waren, ist der Anteil heute verschwindend gering. Axel Kühling

Bild: Ehemaliges Borussia-Denkmal in der Stadt Memel (Klaipeda)

 

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