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Die Julikrise 1914
Keiner will den Krieg, doch alle machen mit

Der österreichische Thronfolger Erzherzog
Franz Ferdinand und seine Frau Sophie

Der Sarajevo-Raum im Heeresgeschicht-
lichen Museum Wien mit dem Automobil,
in dem das Thronfolgerpaar erschossen wurde.

Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird häufig der Blancoscheck erwähnt, in dem das Deutsche Reich dem Kaiserreich Österreich-Ungarn seine absolute Treue zum Bündnis versichert, auch wenn sich der Konflikt ausweiten sollte. Doch zu Beginn dieses großen Krieges, der von allen wichtigen Ländern in Europa bereits in diplomatischen Noten als möglicher Weltbrand oder europäischer Krieg angesehen wird, gab es zwischen den großen Nationen bereits einige Blancoschecks für ein weiteres, vor allem militärisches Vorgehen. Als im serbischen Sarajevo am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie von einem Attentäter einer nationalistischen serbischen Gruppierung erschossen werden, war Europa längst schon in Unruhe. Frankreich, noch immer unter dem Druck des verlorenen Krieges 1870/71 und mit dem Ziel, Elsass-Lothringen mit Straßburg zurück zu bekommen und das Deutsche Reich erheblich zu schwächen, suchte nun mit allen wichtigen Nationen um Deutschland herum, Bündnisse zu schließen. So gab es einen Blancoscheck von Großbritannien, mit dem Frankreich 1904 die Entente Cordiale eingegangen war. Mit Russland hatte es längst ein Bündnis, dem sich Russland auch gegenüber Frankreich in der Verpflichtung sah. Und auch Italien, welches eigentlich dem Dreibund mit Deutschland und Österreich angehörte, neigte sich nun mehr Frankreich als Bündnispartner zu und schloss mit diesem Land einen Neutralitätsvertrag. Und obwohl die Monarchen von Großbritannien, Deutschland und Russland über zig Linien verwandt waren, sich der britische König George V. anfangs noch bemühte, vor allem zwischen Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn zu vermitteln, die Diplomaten aller fünf Nationen vor den Gefahren warnten und vor allem immer davon sprachen, dass sie an einer friedlichen Lösung interessiert seien, zeigten aber die wirklich stattfindenden Maßnahmen mehr und mehr, dass nicht einem der großen Fünf zu glauben war.

Überall finden nun plötzlich regionale Mobilmachungen oder Übungen statt. Die englische Flotte läuft am 15. Juli zu einer Mobilmachungsübung aus und wird danach in Kriegsbereitschaft gehalten. Am 25. Juli beschließt Russland die Teilmobilmachung im grenznahen Raum zu Österreich-Ungarn, Serbien zieht mit und macht mobil. Wien reagiert und befiehlt auch eine Teilmobilmachung. Im entscheidenden Augenblick könnten dies erhebliche Kriegsvorteile sein - und das wissen alle Nationen! Deutschland und Frankreich hingegen verhalten sich noch verhältnismäßig ruhig. Aber eines steht fest, alle bereiten sich bereits darauf vor - was alle eigentlich verhindern wollen - auf einen fürchterlichen Krieg!

Vor allem gab es nämlich einen eindeutigen Blancoscheck, den die Schutzmacht Russland Serbien gegenüber ausstellte. Serbien hatte sich in den letzten Jahren nicht sehr freundlich zu Österreich gezeigt. Der serbische König Peter wurde bereits als neuer König von Kroatien gefeiert, obwohl Kroatien Landesteil von Österreich-Ungarn war. Insgesamt waren die serbischen Nationalisten sehr stark im Land und wagten oft sehr viel, um das kommende Großserbische Reich zu propagieren. Dass dies Österreich-Ungarn nicht sehr gefiel, musste jedem auf dem Balkan klar sein. Am 23. Juli 1914 erhielt Serbien ein Ultimatum von Österreich-Ungarn, zwei Tage später antwortete Serbien mit einer Note darauf: „Die königliche Regierung (Serbien) hält es selbstverständlich für ihre Pflicht, gegen alle jene Personen eine Untersuchung einzuleiten, die an dem Komplotte vom 28. Juni beteiligt waren oder beteiligt gewesen sein sollen, und die sich auf ihrem Gebiete befinden. Was die Mitwirkung von hiezu speziell delegierten Organen der k. u. k. Regierung (Österreich-Ungarn) an dieser Untersuchung anbelangt, so kann sie eine solche nicht annehmen, da dies eine Verletzung der Verfassung und des Strafprozessgesetzes wäre. Doch könnte den österreichisch-ungarischen Organen in einzelnen Fällen Mitteilung von dem Ergebnisse der Untersuchung gemacht werden.“

Diese ablehnende Haltung war ein Schlag ins Gesicht der Habsburger Monarchie. Nun schaltete sich auch die USA und Schweden mit ihren Diplomaten ein, um einen Großen Krieg zu verhindern. Ja sogar Kaiser Wilhelm II., der die Antwort der serbischen Regierung sehr spät erhielt, war der Meinung, dies sei kein Anlass für einen solchen Krieg und bat den russischen Zaren nochmals, eine Ausweitung des Konfliktes nicht zuzulassen. Die Botschafter und Außenminister aller Nationen reisten hin und her zwischen London, Moskau, Paris, Berlin, Wien und Rom. Vor allem kam es nun auf den Zaren an, der eigentlich genug Probleme im eigenen Reich hatte und keinen Krieg gebrauchen konnte, obwohl er sich als Herr über den Balkan sah - da er ja schon keine Kolonien besaß. Als aber Österreich-Ungarn am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg erklärt, gibt er tags darauf den Befehl zur Generalmobilmachung. Noch ist aber alles verhinderbar. Und auch wenn Deutschland heut' noch immer die Kriegsschuld an diesem Ersten Weltkrieg zugeschoben wird, der Kaiser und vor allem die Diplomaten der deutschen Regierung versuchten sogar noch jetzt, einen Krieg zu verhindern. Ein Telegramm des deutschen Kaisers vom 30. Juli 1914 an den Habsburger Kaiser beweist auch das:
„Die persönliche Bitte des Kaisers von Rußland, einen Vermittlungsversuch zur Abwendung eines Weltenbrandes und zur Erhaltung des Weltfriedens zu unternehmen, habe ich nicht ablehnen zu könen geglaubt und Deiner Regierung durch meinen Botschafter gestern und heute Vorschläge unterbreiten lassen. Sie gehen unter anderem dahin, daß Österreich nach Besetzung Belgrads oder anderer Plätze seine Bedingungen kundgäbe.“
Am 31. Juli telegrafiert Wien nach Berlin:
„Gleich nachdem Dein Botschafter meiner Regierung gestern den Vermittlungsvorschlag Sir Edward Greys (England) übermittelt hatte, ist mir die offizielle Meldung meines Botschafters in St. Petersburg zugekommen, wonach der Kaiser von Rußland die Mobilisierung aller Militärbezirke an meinen Grenzen angeordnet hat. Graf Szögyény meldet mir, Du hättest Kaiser Nikolaus in einzig treffender Weise schon gesagt, daß die russischen Rüstungen einzustellen seien, weil sonst die ganze Verantwortung für einen Weltkrieg auf seine Schultern falle.
Im Bewußtsein meiner schweren Pflichten für die Zukunft meines Reiches habe ich die Mobilisierung meiner ganzen bewaffneten Macht angeordnet. …
Eine neuerliche Rettung Serbiens durch Rußlands Intervention müßte die ernstesten Folgen für meine Länder nach sich ziehen, und ich kann daher eine solche Intervention unmöglich zugeben.
Ich bin mir der Tragweite meiner Entschlüsse bewußt und habe dieselben im Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit gefaßt, mit der Sicherheit, daß Deine Wehrmacht in unwandelbarer Bundestreue für mein Reich und für den Dreibund einstehen wird.“

Am 31. Juli 1914 wird der deutschen Bevölkerung die Mobilmachung bekannt gegeben. Die Beistandverträge regeln den Rest, nämlich wer auf welcher Seite steht. Deutschland muss Österreich-Ungarn beistehen und steht damit automatisch gegen Russland, Frankreich hat einen Vertrag mit Russland und muss deshalb gegen Deutschland vorgehen. Der britische Außenminister Grey lässt indessen der deutschen und französischen Regierung übermitteln, dass es nicht abseits stehen könne, wenn Deutschland und Frankreich in einen Krieg hineingezogen würden. Für Frankreich hieß das, grünes Licht und englische Hilfe für einen Krieg gegen Deutschland. Und mit der Entscheidung des österreichischen Kaisers und des russischen Zaren verlieren nicht nur Millionen Menschen ihr Leben, sondern tragen sie auch gleichzeitig ihre Monarchien zu Grabe.

Axel Kühling

 

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